Türkische Rocker wollten Ex-Guantánamo-Häftling anwerben

Die Osmanen Germania Boxclub gelten als schnellstwachsende Rockergruppierung in Deutschland
Die Osmanen Germania Boxclub gelten als schnellstwachsende Rockergruppierung in Deutschland
Quelle: pa/dpa




Murat Kurnaz saß vier Jahre lang im US-Gefangenenlager auf Kuba. Im Herbst wurde er bei einem großen Treffen der Osmanen Germania polizeilich registriert. Der Bremer gibt an, er sei nur Gast gewesen.

Sie nennen sich BC. Die Abkürzung steht für Box Club. Das klingt nach Sport, nach Freizeitbeschäftigung. Die Polizei hat für die Osmanen Germania BC jedoch eine andere Bezeichnung: „Rockerähnliche Vereinigung“.


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Mehr als 1000 Mitglieder sollen die Osmanen hierzulande mittlerweile haben. Sie gelten als schnellstwachsende Rockergruppierung der Bundesrepublik und sorgen seit Monaten für Schlagzeilen: Von einem Rockerkrieg der als türkisch-nationalistisch geltenden Gruppe mit den Hells Angels ist die Rede, von Drogenhandel, einem versuchten Mordanschlag mit einer Handgranate. Der Verfassungsschutz prüft sogar Verbindungen der Gruppe zum türkischen Geheimdienst.

Am 23. Oktober 2016 kamen Hunderte Osmanen-Rocker zum sogenannten World Meeting des Vereins im hessische Dietzenbach bei Offenbach zusammen.


Schon bei der Anreise gab es Polizeikontrollen. Auch ein blauer BMW mit Bremer Kennzeichen wurde angehalten. Darin saßen drei Männer. Einer von ihnen: Murat Kurnaz. Der ehemalige Guantánamo-Häftling, türkischer Staatsbürger aus Bremen.

Auf LKA-Liste erscheint Kurnaz zunächst als Anführer

Vier Jahre, von Januar 2002 bis August 2006, saß Murat Kurnaz im US-Gefangenenlager Guantánamo Bay auf Kuba in Haft – ohne Anklage. Bei einer Reise nach Pakistan war er von örtlichen Sicherheitskräften zunächst festgenommen und dann dem US-Militär übergeben worden. Der Verdacht: Kurnaz soll geplant haben, sich einer Terrororganisation in Afghanistan anzuschließen. Deutsche Medien bezeichneten ihn später unter anderem als „Bremer Taliban“.
Murat Kurnaz gibt an, inzwischen auch als Sozialarbeiter tätig zu sein
Guantanamo-Opfer Murat Kurnaz gibt an, inzwischen als Sozialarbeiter tätig zu sein
Quelle: Dietmar Gabbert/dpa/picture alliance
 

Der Fall Murat Kurnaz löste heftige Kritik an der Bundesregierung aus. Sie sei lange untätig geblieben und habe keine Anstrengungen unternommen, um den Bremer aus der US-Haft freizubekommen, so der Vorwurf. Sogar ein Untersuchungsausschuss im Bundestag wurde ins Leben gerufen, um das Verhalten deutscher Stellen – allen voran des BND und des Kanzleramts – aufzuklären.

Im August 2006 kehrte Murat Kurnaz nach jahrelanger Folterhaft schließlich nach Deutschland zurück. Er hat ein Buch über seine Zeit in Guantánamo geschrieben, das sogar verfilmt wurde. Gemeinsam mit seinem Anwalt, dem Bremer Strafverteidiger Bernhard Docke, ist er durchs Land gereist und hat bei Buchlesungen, Podiumsdiskussionen und in Universitäten über seine Erlebnisse berichtet.

Einer wie er wäre ein „willkommenes Aushängeschild“

Inzwischen ist der zweifache Vater Kurnaz nach eigenen Angaben auch als Sozialarbeiter tätig. Unter anderem in der Flüchtlingshilfe. Seine Zeit in Guantánamo und das erlittene Unrecht scheint der 34-jährige Türke gut bewältigt zu haben. Den damaligen Kanzleramtschef und designierten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht er dennoch in der Bringschuld. „Bis heute ist Frank-Walter Steinmeier nicht auf mich zugekommen, bis heute hat er sich nicht entschuldigt“, sagte Kurnaz kürzlich der „taz“. „Er sollte sein Sündenregister bereinigen, bevor er Bundespräsident wird.“

Wie passt all das – Buchautor, Sozialarbeiter, Flüchtlingshelfer – nun mit den Osmanen-Rockern zusammen? Ist Murat Kurnaz wirklich ein Führungskader der Bremer Osmanen, wie es in dem Polizeipapier steht?

Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) gilt als Experte für Rockerkriminalität. Nach seiner Einschätzung wäre eine prominente Person wie Kurnaz ein „willkommenes Aushängeschild“ für die Osmanen Germania. „Die Osmanen geben sich als Sozialarbeiter, die junge Menschen an den Kampfsport heranführen und Jobs vermitteln“, warnt Polizist Huth. In Wahrheit aber gehe es der Gruppe darum „kriminelle Strukturen zu etablieren und Marktanteile zu sichern, etwa im Türsteher-Milieu, im Sicherheitsgewerbe oder Drogenhandel“.

Anwalt: „Herr Kurnaz war und ist nicht Mitglied“

Über seinen Anwalt lässt Kurnaz auf Nachfrage ausrichten, dass er tatsächlich beim Osmanen-Treffen im Oktober 2016 in Dietzenbach als „Gast“ anwesend war. Allerdings habe er die Veranstaltung frühzeitig verlassen. Es habe zudem auch ein zweites Treffen mit Mitgliedern der Osmanen gegeben. Kurnaz sei von den Rockern gefragt worden, ob er mitmachen wolle, er habe dies aber abgelehnt. „Herr Kurnaz war und ist nicht Mitglied“, teilte der Strafverteidiger Docke der „Welt“ mit.

Woher also stammt die Information des hessischen Landeskriminalamts, dass es sich bei Kurnaz gar um den „stellvertretenden Anführer“ der Bremer Osmanen handelt? „Ich bitte um Verständnis, dass die hessische Polizei zu Einzelpersonen keine Auskünfte erteilt“, lautet die knappe Antwort eines LKA-Sprechers auf Anfrage.

Auch in Bremen gibt man sich wortkarg. „Zu personenbezogenen Daten gibt die Polizei Bremen grundsätzlich keine Auskunft“, teilte ein Polizeisprecher mit. Nur so viel: „Es liegen Erkenntnisse über das mögliche Vorhandensein einer Ortsgruppe der Vereinigung Osmanen Germania BC in Bremen vor, die derzeit intensiv überprüft werden.“ 

Germany - W.

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